Vermehrungsvertrag  


Der Vermehrungsvertrag regelt die privatrechtlichen Beziehungen zwischen Züchtern und Vermehrern unter Einbeziehung der VO-Firmen. Auch er unterlag im Laufe der Jahrzehnte mehrmaligen Änderungen.  


Allen jeweils gültigen Verträgen ist gemeinsam, dass der Vermehrer sein Saatgut nicht selbst vertreiben darf und dass ihm umfangreiche Pflichten auferlegt sind. Letztere betreffen sowohl den produktionstechnischen Bereich (Erzeugung, Ernte, Lagerung, Aufbereitung, Anerkennung) als auch die Notwendigkeit von Auskünften und Aufzeichnungen. Die Rückschau zeigt, dass diese Anforderungen vor allem in den letzten 20 Jahren ständig wuchsen.  


Demgegenüber fehlt es weitgehend an Rechten für die Vermehrer. Der Vermehrungsvertrag enthält bis heute keine verbindlichen Aussagen hinsichtlich Absatzgestaltung und Vergütung der erbrachten Leistungen, sondern nur Kann-Bestimmungen. So besteht beispielsweise keine Verpflichtung, das in Auftrag gegebene Saatgut auch abzunehmen. Damit wird dem Vermehrer nicht nur das Produktionsrisiko auferlegt, sondern auch das Absatzrisiko, auf das er selbst keinen Einfluss nehmen kann. Verbindlich vorgeschriebene Kontrakte fehlen nach wie vor im Vermehrungsvertrag. In diesem Bereich sind grundsätzliche Änderungen dringend erforderlich.  


Die Vermehrungsverträge basierten von Anbeginn an auf dem Prinzip der individuellen Aufbereitung der Partien durch den Vermehrer (Selbstaufbereitung) oder überbetrieblich in seinem Auftrag (Lohnaufbereitung). Als VO-Firmen unseres Gebietes mit leistungsfähigen Aufbereitungs- und Beizanlagen Anfang der 80er Jahre vom Vermehrungsvertrag abwichen und dazu übergingen, ihren Vermehrern das Saatgetreide als Rohware abzunehmen, Partien verschiedener Vermehrer zu Großpartien zusammenzustellen und das wirtschaftliche Risiko der Aufbereitung und Anerkennung selbst zu übernehmen (Vorreiter war die Saatbau Dahlenburg), gab es eine jahrelange intensive, teils ideologisch geführte Diskussion über die Zulässigkeit und die Konsequenzen dieses kostengünstigen, leistungsfähigen Verfahrens. Erst nach Jahren wurde anerkannt, dass auch auf diesem Wege Qualitätssaatgut hergestellt werden kann. So erfolgte 1986 endlich die Aufnahme in den Vermehrungsvertrag, woran der VHS wesentlichen Anteil hatte. Heute ist diese Form der Saatgutgetreideerzeugung Standard in vielen Betrieben, besonders in den mitteldeutschen Großanlagen.  


Das Kartellrecht erlaubte in der Vergangenheit eine Preisbindung für Saatgut durch den Züchter bis hin zum Großhandel. Wesentliche Aufgabe der Saatgutverbände war es damals, auskömmliche Spannenanteile am Großhandelspreis zu erstreiten und zu verteidigen. Nicht immer entsprachen die Ergebnisse der Verhandlungen den Erwartungen der Vermehrer und dem Marktverlauf, die Preisbindung gab aber allen Beteiligten eine relative Sicherheit. Nachteilig war die Konservierung der kleinbetrieblichen Strukturen in der Bundesrepublik, denen jetzt die Großbetriebsstrukturen in den neuen Bundesländern gegenüber stehen.  


Durch das Entstehen des europäischen Binnenmarktes ohne Zollgrenzen am 01.01.1994 ließ sich die Preisbindung nicht mehr halten. Heute dürfen nur noch Empfehlungen für Preise und Spannen von Zertifziertem Saatgut ausgesprochen werden. Diese Liberalisierung bewirkte und bewirkt in Verbindung mit dem vorhandenen Überangebot einen ständigen Zwang zur Kostendegression, um Saatgetreide möglichst günstig anbieten zu können. Sie intensiviert damit den Trend zur spezialisierten Vermehrung auf großen Flächen, zur Rohwarenandienung und zur Aufbereitung in Großanlagen. Für die selbstaufbereitenden Vermehrer zieht sie bei den meist nicht vorhandenen Kontrakten eine größere Unsicherheit hinsichtlich Abnahme und Vergütung nach sich.  


Damals wie auch heute ist es eine müßige Hoffnung, die Züchter und VO-Firmen könnten aus sich heraus eine Regelung des Saatgetreidemarktes herbeiführen. Jeder hofft auf seine Sortenpalette und verfährt entsprechend. Wir werden weiter mit der Überproduktion leben müssen - der Markt muss es hinterher richten, und er tut es meist mit hohen Verlusten.  


Die Rohwarenerzeuger erhalten - meist auch ohne Kontrakt - eine zumindest kostendeckende Vergütung, sie sind besser gestellt als früher. Falls die Selbstaufbereiter nicht durch einen Kontrakt abgesichert sind, hat sich ihre Lage praktisch nicht verändert, sie tragen das größte Risiko in der Saatguterzeugung.
 

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